Leseprobe

 
Wofür gibt es Gefühle?

Seit Urzeiten sollen sich Menschen gut fühlen bei Dingen, die ihrem Überleben dienen, und schlechte Gefühle haben bei Dingen, die ihr Überleben gefährden. Dafür sind die Triebe und Gefühle da.

Aktivitäten haben begleitende Gefühle. Dabei gibt es gute, neutrale und schlechte Gefühle.

Wenn wir Zuneigung empfinden, wenn wir Liebesbeweise bekommen, dann ist das ein gutes Gefühl.

Wenn wir Dinge organisieren und steuern, wenn wir unseren Einfluss spüren, den wir auf andere Menschen haben, dann ist das ein gutes Gefühl.

Wenn wir in Kontakt mit einem attraktiven Vertreter des anderen Geschlechts kommen, wenn wir spüren, wir haben Wirkung auf ihn, dann ist das ein gutes Gefühl.

Als Mitglieder einer sozialen Spezies sind wir hilfsbereit. Wenn wir jemandem einen Gefallen tun können, wenn wir jemandem irgendwie helfen können und dieser bedankt sich, weil die Hilfe so gut war, dann ist das ein gutes Gefühl.

Wenn wir nette neue Leute kennenlernen und mit ihnen einige gesprächige Momente verbracht haben, dann ist das ein gutes Gefühl.

Diese Gefühle sind wichtige Bestandteile in unserem Leben. Sie begleiten unsere Aktivitäten und den Zustand in dem wir uns gerade befinden.

Normalerweise macht sich niemand Gedanken darüber, wofür unsere Aktivitäten gut sind. Bei genauer Betrachtung stellt man aber fest, dass in der Regel alle Aktivitäten einem (Trieb-) Ziel oder der Vermeidung von Nachteilen in Bezug auf Triebziele dienen.

Wir fühlen uns gut, wenn Trieb-Ziele erreicht werden und wir fühlen uns schlecht, wenn nicht.

Diese Gefühle waren und sind für Menschen (und Tiere) wichtig seit Millionen von Jahren.

Diese Gefühle haben uns angetrieben in einer feindlichen Umwelt als Gemeinschaft zu überleben und sie sind fest in uns verankert. Alles was uns antreibt, (daher der Name Trieb) dient letztlich dazu, unser Überleben zu sichern.

Anders als heute war das Überleben des Einzelnen zu Urzeiten, nicht von einem Sozialstaat abhängig, sondern davon, in einer sozialen Gemeinschaft eingebettet zu sein, die einen unterstützte, wenn es ums Überleben ging.

Zum Beispiel, wer von seiner Gemeinschaft verstoßen wurde, war häufig zum Tode verurteilt. Noch heute empfinden wir es als schrecklich, von wichtigen Bezugspersonen verstoßen zu werden oder gar von der ganzen Familie.

An diesem Beispiel kann man sehen, dass uns heute noch archaische Triebe sehr stark beeinflussen, obwohl in unserem heutigen Sozialstaat ein Verhungern nicht mehr befürchtet werden muss.

Man stelle sich vor, was passieren würde, wenn das Bedürfnis nach Partnerschaft und sexueller Lust nicht vorhanden wäre, es gebe keine Kinder mehr und wir wären längst ausgestorben.

Genau genommen ist Sexualität eine mühsame Anstrengung, ebenso wie die Suche nach einem Partner. Die Lustgefühle, die wir dabei im Erfolgsfalle empfinden, sind jedoch die Belohnung, die uns alle Mühen vergessen lässt.

Das Erreichen von Triebzielen ist das, was uns Befriedigung, gute Gefühle oder auch ekstatische Lustgefühle verschaffen kann.

Das Anstreben dieser Triebziele, für die es jeweils bestimmte Mittel gibt, die wir einsetzen können, ist uns angeboren.

Leider kommt es vor, dass durch eine ungünstige persönliche Entwicklung einzelne Triebziele blockiert werden können und dann die betreffende Situation nicht als angenehm empfunden wird.

Zum Beispiel nach schweren Enttäuschungen mit der Liebe entsteht kein Gefühl der liebevollen Zuneigung mehr, weil entsprechende Situationen aus Angst vor weiteren Enttäuschungen vermieden werden.

Oder auf Grund von Stress und Überlastung kann man keinen Spaß mehr am Organisieren empfinden.

Solche Beispiele beweisen nicht das Gegenteil, sie lassen aber ahnen, dass es auf dem Weg zum Erreichen seiner Triebziele etliche Probleme geben kann.

 

Die Grundlagen der Psychologie

In der Psychologie geht es um Bedürfnisse. Das Bedürfnis nach Liebe und Nähe, das Bedürfnis sich durchzusetzen, dass Bedürfnis einen Streit zu gewinnen, dass Bedürfnis für seine Leistungen anerkannt zu werden, dass Bedürfnis beachtet und gewürdigt zu werden.

Diese Bedürfnisse kommen in vielfältigen Kombinationen vor. Zum Beispiel kann ich als starker Mensch mich mit Aggressionen durchsetzen. Das Ziel ist etwas durchzusetzen, die Verwirklichung meines Willens. Das Mittel dazu: die Aggression. Als schwacher Mensch kann ich mich auch mit verletztem Zurückziehen durchsetzen. Das gleiche Ziel, aber ein anderes Mittel.

Eine Schlüsseleinheit der Psychologie ist die Intensität mit der ein Triebbedürfnis an andere Menschen herangetragen wird. Dieses Betreiben eines Triebziel kann stark, mittel, schwach oder vollkommen verkümmert sein. Die folgenden Grafiken sollen das verdeutlichen.


Fig 1. Beispiel der Intensitäten eines aggressiv vorgetragenen Bedürfnisses

 Graphik 1

Es gibt aggressionsgehemmte Menschen, bei denen in ihrer Kindheit jegliche Aggression unterdrückt wurde. Hier kommt nun eine weitere Schlüsselfunktion der Psychologie zum Zuge: unterdrückte Triebbedürfnisse stauen sich auf.

Bei immer wiederkehrendem Ärger auslösenden Situationen kann sich das aufstauen, wie hinter einem Staudamm. Wenn der Staudamm dann bricht, kann es zu schwerer Aggression kommen, die den ganzen alten Ärger mit herausbringt. Solchen Menschen fehlt dann das mittlere Maß, die leichte, die schwache Aggression.

 
Fig 2. Beispiel einer gehemmten Aggression mit Durchbruch

Graphik 2


Aggressive Menschen werden häufig als böse oder bösartig angesehen. Sie können jedoch nichts dafür. Gerade weil sie ihre Aggressionen unterdrücken, darum wird der Ausbruch umso schlimmer.

Oft kommt es vor, dass der Aggressive sich hinterher entschuldigt. Manche nehmen sich vor, nicht mehr aggressiv zu werden, umso schlimmer wird der nächste Ausbruch. Dass es gerade darauf ankommt, frühzeitig und nur leicht aggressiv zu werden, ist den wenigsten klar.

Allerdings ist es nicht gerade leicht, von einem schweren Triebstau auf eine leichte angemessene Art der Auslebung herunter zu kommen. Das benötigt zumeist intensive Therapie.

Eine weitere grundsätzliche Frage ist die nach der Ursache für die Aggression. Es gibt eine Frustration, eine Verletzung, die umso schlimmer ist, wenn die Frustrationsschwelle niedrig ist.

Eine Frustrationsschwelle ist dann niedrig, wenn Vorerfahrungen vorliegen, Situationen in der Kindheit, die äußerst schmerzhaft waren und nicht verarbeitet worden sind.

Was das sein könnte, wird in späteren Kapiteln noch genauer beschrieben.

Im Prinzip gilt das bisher Gesagte für alle Trieb-Bedürfnisse, nicht nur für die aggressive Triebrichtung. Alle Trieb-Richtungen können gehemmt, unterdrückt und aufgestaut sein. Es ist einleuchtend das Basis-Triebe, die ja generell überlebenswichtig für Menschen sind, auf ihre Befriedigung drängen.

Bei normalen gesunden und ungestörten Menschen bekommt jeder Hunger, wenn er lange nichts isst. Er wird extrem müde, wenn er lange nicht schläft, er wird unzufrieden, wenn er sich lange nicht verwirklichen kann, er wird unglücklich, wenn er lange nicht geliebt wird, er wird unausgefüllt, wenn er lange keine Aufgabe hat, die ihn zufrieden stellt. Er langweilt sich, wenn es lange Zeit nichts Interessantes/Neues gibt.

Es gibt immer auch einzelne Menschen, die meinen sie brauchen „das“ nicht. „Das“ kann jede Form von Triebbefriedigung sein, mit der der Betreffende, schlechte Erfahrungen gemacht hat. Es ist dann einfach zu behaupten, dass man „das“ nicht braucht.

Eine übersteigerte Auslebung eines Triebbedürfnisses ist das Gegenteil zum gehemmten Triebbedürfnis.

Wenn ein Mensch in seiner Kindheit die Erfahrung macht, dass er mit seinen Bedürfnissen nur mit aller Kraft, mit vollem Einsatz zum Ziel kommt, aber nicht mit normalen, mittleren Mitteln, dann fixiert er sich dauerhaft auf den extremen Einsatz.

 
Fig 3. Beispiel eines übersteigerten Verhaltens

Graphik 3

Er hat die Erfahrung gemacht, dass normaler, mittlerer Einsatz nie zum Ziel führt. Dieses übersteigerte Verhalten schießt über das Ziel hinaus, und wenn es mit anderen Menschen zu tun hat, was meistens der Fall ist, brüskiert er diese.

Dieses Verhalten wirkt übertrieben oder rabiat, im Extremfall abstoßend. Es wirkt so, als wenn der betreffende auf extreme Weise seine Ziele verfolgt.

Da der Betreffende in einem solchen Moment sich unbewusst in einer für ihn schlimm gewesenen Situation seiner Kindheit befindet, nimmt er sein Gegenüber, in diesem Moment nicht richtig wahr und er verliert den Überblick dafür, was er gerade mit dem anderen macht.

Wie es dazu kommt, dass der Übersteigernde sein Problem verdrängt, wird noch in einem späteren Kapitel behandelt.

Zusammengefasst: die Menge, die Stärke eines Triebeinsatzes mit der ein Mensch auf andere einwirkt ist ein grundlegender Faktor der Psychologie. Eine Trieb-Auslebung kann normal, angemessen oder übersteigert, aber auch gehemmt sein.

Da ein Basistrieb, der ja eigentlich seit Urzeiten überlebenswichtig ist, nicht auf einfache Weise nur weggedrückt werden kann, ergeben sich daraus die verschiedensten psychologischen Probleme.

Im engen Zusammenleben von Menschen, wo unterschiedliche Interessen auf einander stoßen und (Trieb-) Bedürfnisse jeweils an den anderen gerichtet werden, führt jede Art von Extremverhalten, sei es übersteigertes oder gehemmtes, unweigerlich zu Problemen. Darüber Bescheid zu wissen, was da abläuft:

das sind die Geheimnisse der Psychologie.


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